Neujahrsinterview mit Wolfgang Wehowsky, Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg

Veröffentlicht am 12.01.2011 in MdB und MdL

Herr Wehowsky, beim diesjährigen Neujahrsempfang der CDU Stutensee hat Ministerpräsident Stefan Mappus über„Baden-Württemberg als „Motor für Deutschland“ gesprochen“. Das heißt ja nichts anderes, als würde der wirtschaftliche Aufschwung durch Baden-Württemberg angeführt werden. Sehen Sie das auch so?

Also zunächst einmal freuen sich nicht nur der Ministerpräsident, sondern wir alle über den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg. Wir haben die Finanz- und Wirtschaftskrise mit Bravour gemeistert, aber dazu hat Mappus am wenigsten beigetragen. Verantwortlich waren dafür zwei wichtige Entscheidungen in der großen Koalition und zwar die Abwrackprämie und vor allem die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis zu 24 Monaten. Beide Initiativen sind auf dem Nährboden der SPD gewachsen. Schließlich haben sich auch die Arbeitnehmer bei Tariferhöhungen zurückgehalten, was uns in eine hervorragende Wettbewerbssituation in Europa und auf den Weltmärkten gebracht hat.

Also doch Wirtschaftmotor Baden-Württemberg?

Baden-Württemberg mit seinen exportorientierten Arbeitsplätzen in der Automobil- und Maschinenbauindustrie hat am Meisten unter der Krise gelitten. Wir hatten auch die weitaus höchsten Kurzarbeiterzahlen im Bundesgebiet. Da 2010 in beiden Wirtschaftsbereichen ein weltweiter Boom ausgebrochen ist, profitieren gerade unsere Unternehmen am Meisten davon. Doch Wirtschaftsmotor bedeutet auch Spitzenstellung in Deutschland. Und die ist Baden-Württemberg schon einige Zeit abhanden gekommen. Bis 1990 waren wir das Flächenland mit der höchsten Wirtschaftskraft in den Bundesländern, 1990 wurden wir von Hessen überholt, 1993 sogar von Bayern. Das Wirtschaftswachstum von 2000 bis 2009 in Baden-Württemberg blieb mit 12,8 % deutlich hinter dem Wachstum aller Länder im Durchschnitt von 17,2 % zurück. Also nix mit hochdrehendem Motor, eher Zündaussetzer!

Das neue Jahr hat ja bereits im März mit den Landtagswahlen In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz einen seiner Höhepunkte. Welche Themen sehen Sie dort im Vordergrund?

Ganz vorne stehen für mich Sachthemen. Das ist hier im Land zunächst speziell das, was auf der anderen Rheinseite bereits realisiert wurde. Im Vordergrund steht hier eine Bildungsreform, die ihren Namen verdient, weil sie die Schule am Ort sichert. Die Inklusion von behinderten und nicht behinderten Kindern bei der Kinderbetreuung und in der Schule ist zügiger voranzubringen. Zudem stehen wir für eine moderne Familienpolitik. Junge Frauen wollen Kinder und Beruf Damit sie beides unter einen Hut bekommen, muss die Landespolitik bessere Rahmenbedingungen schaffen .Ferner zähle ich dazu die Förderung des Mittelstandes, insbesondere im Sektor regenerative Energien - mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wir wollen die Leiharbeit beschränken und fordern faire Arbeit mit auskömmlichen Löhnen für die Arbeitnehmer.

Bleiben wir einmal bei der Bildungspolitik. Was ist denn da in nächster Zeit überhaupt machbar?

Bei der Betreuung der unter Dreijährigen geht es zunächst einmal um die Sicherung des Ausbaus auf die gesetzlich notwendige Quote von 34 % bis zum Jahr 2013. Die Kommunen tun sich etwas schwer, ausreichende Plätze zur Verfügung zu stellen, weil dies erhebliche Kosten für den Gemeindehauhalt verursacht. Den Kommunen wäre schon geholfen, wenn das Land auch hier wie bei den Kindergärten die Drittelregelung praktizieren würde.. Solange das Land aber nur rd. 17 % für die Betriebskosten der unter Dreijährigen beisteuert, verstärkt dies noch das Haushaltsdefizit in den Gemeinden. Erforderlich wären wie bei Kindergärten eigentlich ein Drittel der Betriebskosten. Wir wollen den beitragsfreien Kindergarten und werden in einer ersten Stufe mit dem 3. Kindergartenjahr anfangen. Schließlich muss der Orientierungsplan für die Kinderbetreuung verbindlich werden, d.h. höhere Landeszuschüsse für mehr qualifiziertes Personal.

Das hört sich ja sehr umfangreich an. Wie sieht es denn nun bei den Schulen aus?

Oh, da wartet sicherlich die schwierigste Arbeit auf uns. Hier nur die wichtigsten Punkte: Unser Ziel ist es , dass die Schulen am Ort bleiben. Das geht nicht mit der neuen Werkrealschule; sie ist nicht der Renner. Wir brauchen nach der Grundschule eine Gemeinschaftsschule, die sowohl einen Hauptschulabschluss als auch einen richtigen Realschulabschluss anbietet. Dafür müssen aber weitere Schulen zu Ganztagesschulen ausgebaut werden, die im Schulgesetz stehen und deshalb eine ausreichende Lehrerversorgung erhalten. Von heute auf morgen ist das nicht zu realisieren. Wir wollen dies ohnehin nur gemeinsam mit den Schulen und den Eltern vor Ort umsetzen

Und kostenreduziertes Mittagessen in der Schule?

Ja, dazu haben ja die Schulträger nach dem letzten vier Milliarden teureren Investitionsprogramm von Gerhard Schröder Schulumbauten und Mensen gebaut bzw. eingerichtet. Das Mittagessen sollte für jeden Schüler höchstens 1 Euro pro Tag kosten; der Rest wird übernommen.

Und wie sieht es mit Schulsozialarbeit aus?

Damit sieht es ja bei uns besonders schlimm aus. Schulsozialarbeit kann ganz allgemein als eine Form der Kooperation von Jugendhilfe und Schule bezeichnet werden. Schulsozialarbeit gehört an jede Schule nicht nur an Haupt- und Werkrealschulen. Schulsozialarbeiter sind wichtige Ansprechpartner für Schüler, Eltern und Lehrer - nicht erst nach dem Amoklauf von Winnenden. Des-halb ist das Land wieder an den Kosten mit mindestens einem Drittel zu beteiligen.

Hat dann das dreigliedrige Schulsystem überhaupt noch eine Chance?

Nach meiner Meinung hat es keine Chance mehr. Überlegen Sie sich doch mal folgenden Dreisatz: Wir unterrichten die Kinder des 21. Jahrhunderts mit Lehrern aus dem 20. Jahrhundert und nach einer Schulstruktur aus dem 19. Jahrhundert! Das kann doch nicht mehr lange gut gehen.

Wechseln wir schnell einmal zur Energiewende. Wie sehen Sie die von der Bundesregierung beschlossene Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke?

Das ist keinesfalls zu akzeptieren.. Mit der SPD in der Regierung gibt es kei-nen Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomenergie. Wir werden die KKW’s Philippsburg I und Neckarwestheim I planmäßig stilllegen. Energieinvestitionen sind künftig bei regenerativen Energiequellen zu konzentrieren. Bei vielen sauberen Energien sind wir schon Weltmarktführer. Dies sichert unsere Arbeitsplätze im Mittelstand.

Sind wir kurz vor der Vollbeschäftigung oder täuscht dieser Eindruck?

Ich habe mir erst gestern die Arbeitsmarktstatistik der Arbeitsagentur Karlsruhe für Dezember 2010 angesehen. Danach hat im gesamten Arbeits-amtsbezirk Karlsruhe die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahresmonat Dezember 2009 um 12,8 Prozent abgenommen. Der Job-Boom geht bun-desweit weiter an der Zahl der derzeit noch vorhanden rund 3 Mio. Arbeits-losen weitgehend vorbei. Unser Job-Boom findet bei der Leiharbeit und nicht bei der regulären Beschäftigung statt. Zurzeit gibt es in Deutschland 750.000 Leiharbeitnehmer; wenn sich das so weiter entwickelt wie bisher, könnte es bald 1 Mio. sein. Neben dem Problem der zeitlichen Befristung wird hier der Grundsatz „Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit“ nicht eingehalten. Leiharbeiter erhalten von ihrer Zeitarbeitsfirma im Schnitt 20 bis 25 Prozent weniger Geld als die Kollegen, die regulär beschäftigt sind.

Wenn das so weitergeht führt das ja schnurstracks in die Altersarmut.

Deshalb sehe jetzt vor allem die Politik in der Verantwortung, "für gute Arbeit zu sorgen - zu fairen Bedingungen und angemessenen Löhnen, von denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch leben können".

Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € in der Stunde könnte dafür der geeignete Weg sein.

Abschließend noch zwei Fragen zur Verkehrspolitik. Wie geht’s jetzt mit Stuttgart 21 weiter?

Dem Schlichtungsergebnis von Heiner Geißler stimme ich zu. Inwieweit die zusätzlichen qualitativen Verbesserungen zu einer Erhöhung der Gesamt-summe führen wird gerade geprüft. Das Land darf dadurch allerdings finanziell nicht stärker belastet werden.. Was aber fehlt ist die demokratische Legitimation, wie sie nur über eine Volksabstimmung aller Baden-Württemberger erreicht werden kann. Deshalb verstehe ich nicht dass das Attac-Mitglied Geißler auf dieses demokratische Grundrecht verzichtet hat. Vielleicht wollte er auch nicht die Kreise von Mappus stören.

Der Straßenverkehr leidet neben den durch den strengen Winter entstande-nen Schlaglöchern durch miserabel erhaltene Landesstraßen. Hier besteht doch dringender Handelsbedarf?

Eindeutig JA! Wir haben deshalb kürzlich die Suche nach der schlechtesten Landesstraße in Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Automobilclub Europa ausgeschrieben. Diese Umfrageaktion mit dem Namen „Holterdiepolter“ hat sehr viele Nennungen über schlimme Straßenschäden seitens der Bürger ergeben. Bei uns ist z. B. die L 558 zwischen Stutensee-Friedrichstal und Graben-Neudorf gemeldet worden. Als schlechteste Landesstraße wurde die L 573 zwischen Tiefenbronn und Heimsheim im Enzkreis ausgezeichnet. Dafür wollen wir dem Ministerpräsident des „Schlagloch-Oscar“ überreichen. Mal sehen, ob er soviel Humor besitzt und ihn annimmt.

Herr Wehowsky, jetzt die alles entscheidende Frage: Wie sehen Sie die Wahlchancen der SPD bei der Landtagswahl?

Ich bin mir sicher, dass wir mehr als 25 Prozent erreichen und damit das Re-sultat der letzten Wahl 2006 übertreffen werden. Alles Weitere wird man se-hen. Wichtig ist mir dabei eine hohe Wahlbeteiligung. Deshalb bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.

 

Wir bei Facebook