Stellungnahme der SPD-Fraktion zu TOP 1 der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats der Gemeinde Weingarten (Baden) am 21.07.2008
Änderung des Bebauungsplans „Kirchberg-Mittelweg“ und Erlass eines Satzungsbeschlusses
Mit der heute zu entscheidenden Vorlage über den Satzungsbeschluss endet nun tatsächlich die „sogenannte unendliche Geschichte“ (dieses Mal nicht als Fantasy-Film, sondern als wirklichkeitsgetreue Dokumentation) des seit 1972 rechtsverbindlichen – aber in seinem Vollzug aus grundsätzlichen rechtlichen Erwägungen - ausgesetzten Bebauungsplans. Sie wurde uns in der Vorlage zu der heutigen Gemeinderatssitzung abermals entsprechend der ungeheuer komplexen Thematik zusammenfassend dargestellt und als modifizierter Bebauungsplan -Änderungsentwurf „Kirchberg-Mittelweg“ nach der erneuten Offenlage mit den vorgebrachten Anregungen bzw. Stellungnahmen der Fachbehörden und der Grundstückseigentümer sowie der Stellungnahmen des Planers und der Verwaltung präsentiert. Allein die dazu gehörige Synopse zu diesen Anregungen umfasst 65! Seiten. Unsere Fraktion hat diese umfangreiche Vorlage einer intensiven Prüfung unterzogen und nochmals unter Berücksichtigung der erschließungsplanerischen, der sozialen und der ökologischen Gesichtspunkte diskutiert.
Zunächst ein Lob an die Verwaltung, die es geschafft hat, den äußerst komplexen und schwierigen Sachverhalt in einer gut strukturierten Vorlage auch für baurechtliche Laien übersichtlich und verständlich dazustellen. Als Gemeinderat können und wollen wir nicht den baufachlichen Sachverstand und die baufachrechtliche Kompetenz von Architekten, Städteplanern, Fachingenieuren und Juristen ersetzen. Uns obliegt letztlich die Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen, wobei wir darauf zu achten haben, dass das Abwägungsgebot nicht verletzt wird. Dennoch sind wir gehalten aus den sehr stark voneinander abweichenden Meinungen und Ansichten der Beteiligten, die Vor- und Nachteile einer Planung – aus Sicht der Gemeinde - gegeneinander abzuwägen und heute eine Entscheidung für die bauliche Weiterentwicklung unserer Gemeinde zu treffen, die objektiv allen zu beachtenden Gesichtspunkten Rechnung trägt.
Ich darf es vorwegnehmen: Die SPD-Fraktion stimmt dem Antrag der Verwaltung zu. Die SPD-Faktion meint – und dies hatten schon bei der Sitzung am 17.03.2008 zum Ausdruck gebracht -, dass diese über 35-jährige Geschichte jetzt einen Abschluss finden muss. Wir haben hierzu folgende ergänzende Anmerkungen zu machen:
- 1. Rechtsanwalt Prof. Dr. Kirchberg hat bei seinem Vortrag anlässlich der öffentlichen Gemeinderatssitzung am 17.03.2008 zum TOP „Bebauungsplan Kirchberg- Mittelweg“ u. a. ausgeführt, dass es in seiner langjährigen praktischen Erfahrung kein Verfahren von ähnlicher rechtlicher Komplexität gegeben habe. Gründe hierfür seien, dass es sich um ein Hanggebiet mit sehr schwierigen Erschließungsverhältnissen handle. Die Anforderungen an Natur-, Arten- und Landschaftsschutz hätten sich im Laufe der letzten 35 Jahre gravierend geändert. Es seien schwierige Fragen aufgekommen, die das Verfahren zusätzlich erschwert hätten. Daraus ergibt sich, dass die Planung aus dem Jahre 1972 nicht mehr zu verwirklichen gewesen ist. Zum jetzigen Zeitpunkt habe man eine Planung, die in ihrer Differenziertheit weit über das hinausgehe, was üblich sei.
- 2. Wir kommen zurück auf den interfraktionellen Antrag von SPD-WBB-Grüne Liste vom 17.10.2005, in dem es um die finanziellen Auswirkungen (Umlegung, Erschließung ) der „Nullvariante“, d.h. unter anderem. Verzicht auf die Planstraße B und Arrondierung der Bebauung bzw. Schließung der Baulücken am Eisbergweg und Mittelweg ging und das durch die Verwaltung am 21.11.2005 beantwortet wurde. Daraus wird ersichtlich, dass es der SPD-Fraktion nicht leicht gefallen ist, die Planstrasse B oder letztlich den südlichen Ast der Planstrasse B (nach dem Steinbruch) planerisch zu akzeptieren. Wir haben es deshalb begrüßt, dass die Verwaltung aufgrund des erneuten Vorbringens der Grundstückeigentümer bzgl. des Wegfalls der Planstraße B ein weiteres unabhängiges Gutachterbüro eingeschaltet hat. Wir sehen keinen Grund der Auffassung des Sachverständigen, wonach aus vielerlei Gründen auf die Planstraße B nicht verzichtet werden sollte, zu widersprechen.
- 3. Auch aus ökologischer Sicht ergebe sich bei zwischen der Realisierung der Planstraße B und der Alternative „Wegfall des südlichen Ast der Planstraße B“ und einer beidseitigen Bebauung des Mittelwegs kein eindeutiger Vorteil für die Alternativlösung. Wir bitten die Verwaltung allerdings um eine ausreichende Berücksichtigung sämtlicher umweltschutz- und artenschutzrechtlicher sowie weiterer naturschutzrechtlicher Belange (siehe heutiger Vortrag zur Fledermauspopulation).
- 4. Einem völligen Verzicht auf die Planstraße B allein aus Gründen des Naturschutzes könnten wir jedoch nicht zustimmen, da dies – wie von der Verwaltung dargestellt - für ca. 39 weitere Grundstückseigentümer deren Nichtberücksichtigung bei Aufstellung des Bebauungsplans bedeuten würde. Das Problem des Herausfallens aus dem Bebauungsplan (siehe frühere Planstraße A) und die Frage einer moderaten Entschädigung dieser Grundstückseigentümer ist der SPD ein wichtiges Anliegen, was wir schon beim letzten Mal betont haben.
- 5. Den Veränderungen der Lage und der Ausbaubreite der geplanten Treppenanlagen stimmen wir zu und begrüßen die dadurch erzielbaren Kosteneinsparungen.
- 6. An dem Postulat der Sozialverträglichkeit der Erschließungsbeiträge halten wir fest. Es darf zu keinen unzumutbaren Belastungen der Grundstückseigentümer kommen. Nach der Definition „sozialverträglich“ in der allgemeinen Rechtslehre wird häufig auch eine Regelung eingestuft, welche die Interessen der Mehrheit der Kollektivmitglieder (nicht aber die Interessen einer Minderheit) oder den größtmöglichen Gesamtnutzen eines Kollektivs (nicht aber den jedes Einzelnen) wahrt. Die SPD-Fraktion wird das Postulat der Sozialverträglichkeit bei der noch zu verabschiedenden Erschließungssatzung prüfen und gewichten.
Bei einer solch gewichtigen Entscheidung, wie der heutigen, sollte man mit glorifizierenden Zitaten vorsichtig sein. Mir ist aber dieser Tage ein Spruch von Georg Christoph Lichtenberg aus dem 18. Jahrhundert auf den Schreibtisch gelangt, der auch im 21. Jahrhundert noch Gültigkeit hat und zu unserem aktuellen Thema passt:
„Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders werden wird; aber soviel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“
(Wolfgang Wehowsky)