Sommerinterview mit Wolfgang Wehowsky

Veröffentlicht am 02.09.2010 in Ortsverein

Brigitte Schneider: Jetzt ist es fast ein Jahr, dass Du als Nachfolger von Ute Vogt Mitglied des Landtages von Baden- Württemberg geworden bist. Wie ist bisher Dein Eindruck von der dortigen Parlamentsarbeit?

Wolfgang Wehowsky: Auf jeden Fall war es für mich schon eine Umstellung, bis ich mich in die dortigen organisatorischen Abläufe eingegliedert habe. Zwischenzeitlich weiß ich, wie der Hase läuft. Die Arbeit ist sehr zeitintensiv, abwechselungsreich und interessant. Aber eines ist mir sofort klar geworden: Gute Vorschläge der Opposition - vor allem bei der praktischen Umsetzung von Gesetzesvorhaben - werden von den Regierungsfraktionen nicht akzeptiert; nein sie werden selbst dann zurückgewiesen, wenn es für die Bürger echte Vorteile brächte.

B.S.: Kannst Du dafür ein konkretes Beispiel nennen?

W.W.: Es fällt mir leicht; denken wir einfach an die Neufassung der Landesbauordnung. Dort hatte die SPD beantragt, dass künftig bei Neubauten Rauchmelder zur Pflicht werden. Damit stehen wir nicht allein, es handelt sich hier auch um eine eindringliche Forderung der Feuerwehren im Land, die jedes Jahr viele Tote bei Schwelbränden durch Rauchvergiftung zu beklagen haben. Von den Regierungsfraktionen wurde dies abgelehnt mit dem banalen Hinweis, dass Rauchmelder heute leicht in jedem Baumarkt für wenig Euro beschafft werden können. Außerdem müsse die Installation eines Rauchmelders im Eigeninteresse jedes Bürgers liegen. Da bleibt einem schon „die Spucke weg“, wenn man sieht, mit welchem Argumenten eine dringend notwendige Regelung für überflüssig erachtet wird. Wie viele Menschen müssen denn eigentlich noch in Baden- Württemberg durch Rauchvergiftungen sterben, bis die Einsicht zum Handeln auch die Landesregierung erfasst?

B.S.: Welche Themen beschäftigen Dich besonders bei Deiner Landtagstätigkeit?

W.W.: Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt im sozialen Bereich und hier speziell im Sozialausschuss mit den Themenfeldern von der Kinder- und Jugendhilfe über Fragen der Gesundheitsversorgung, der sozialen Rentenversicherung bis hin zur Arbeitsmarktpolitik. Da ich auch Behindertenpolitischer Sprecher der SPD- Landtagsfraktion bin, kümmere ich mich besonders um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Dabei geht es um die Schwerpunkte Inklusion (gemeinsame frühkindliche Betreuung und Schule von behinderten und nicht behinderten Kindern), Wohnung und Arbeit sowie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

B.S.: Hast Du auch schon Kleine Anfragen im Landtag an die Landesregierung eingereicht und wenn ja welche?

W.W.: So spontan kann ich die Zahl der entweder gemeinsam oder von mir allein eingereichten Kleinen Anfragen gar nicht nennen; ich sage jetzt mal etwa zehn Anfragen.
Besonders wichtig sind mir folgende drei Anfragen:
- „Übergangsquoten auf berufliche Gymnasien im Landkreis Karlsruhe“
- „Missstände bei der Beförderung von behinderten Kindern“
- „Umsetzung der neuen Werkrealschule im Landkreis Karlsruhe“
Auf Wunsch gibt mein Büro gerne eine Auflistung aller Kleinen Anfragen heraus. Über die Drucksachennummer kann man diese dann unter der Homepage des Landtages aufrufen und nachlesen.

B.S.: Wenn die SPD nach der Landtagswahl Regierungsverantwortung übernehmen sollte, welchen Themen müsste man sich dann zuerst widmen?

W.W.: Ich sehe den größten Handlungsbedarf im Bildungsbereich. Wir wollen die Schulstandorte in den Gemeinden vor Ort so lange wie möglich erhalten. Deshalb stehe ich für längeres gemeinsames Lernen, Einführung einer verbindlichen Ganztagesschule mit qualifizierter und pädagogischer Betreuung sowie Ausbau der beruflichen Gymnasien. Auch sollte der Orientierungsplan für den frühkindlichen Bildungsbereich verbindlich eingeführt werden um die Rahmenbedingungen in Kinderkrippen und Kindergärten deutlich zu verbessern. Wir wollen einen Einstieg in die kostenfreie Kinderbetreuung, wie das bereits in Rheinland- Pfalz vorbildlich praktiziert wird, und damit sofort mit dem dritten Kindergartenjahr anfangen.

B.S.: In den letzten Wochen standen auf Deinem Terminkalender zahlreiche Besuche bei den Bürgermeistern in Deinem Wahlkreis. Was hat Dich dabei speziell interessiert?

W.W.: Die Bürgermeisterbesuche habe ich bis auf zwei Termine abgeschlossen. Sie haben mir eine Menge zusätzlicher Informationen gebracht, so dass ich jetzt weiß, wo in jeder Stadt oder Gemeinde „der Schuh drückt“. Erfreulich war für mich die Erkenntnis, dass die Gemeinden im Landkreis ihre Hausaufgaben beim Ausbau der Kinderbetreuung gemacht haben und hier auf die Wünsche der Eltern eingehen. Unterstützung seitens der Abgeordneten wird für regionale Straßenbauprojekte und besondere infrastrukturelle Vorhaben bzw. bei Beantragung speziellen Fördermitteln der Landesministerien sowie über den Europäischen Sozialfonds erbeten und gerne auch geleistet.

B.S.: Was sagst Du zu der neuerlichen ablehnenden Reaktion der Landesregierung bezüglich des Einkaufs der jetzt neu angebotenen Steuer-CD?

W.W.: Ich unterstütze die Reaktion unseres Spitzenkandidaten Nils Schmid, der mit der Weigerung des Ankaufs der Steuer-CD seitens der Landesregierung gleichzeitig eine Unterstützung der Steuerhinterziehung im Land verbindet. Es ist doch lächerlich, in Baden-Württemberg einen Ankauf abzulehnen, sich von anderen Bundesländern aushelfen zu lassen und dann von den eingenommenen Steuermitteln zu profitieren.

B.S.: Inwieweit tangiert Dich eigentlich „Stuttgart 21“ und welche Meinung habst Du dazu?

W.W.: Zunächst möchte ich deutlich unterstreichen, dass ich voll und ganz hinter der Linie der Landespartei und der Landtagsfraktion stehe, die schon vor den Wahlen 2001 und 2006 sich klar zu „Stuttgart 21“ bekannt haben. Insgesamt hat in allen Parlamenten eine breite demokratisch gewählte Mehrheit für „Stuttgart 21“ und die Neubaustrecke nach Ulm gestimmt. Was mir persönlich fehlt, ist jedoch eine demokratische Bürgerbeteiligung über einen Bürgerentscheid, wie wir dies in Karlsruhe mit der U-Strab zweimal praktiziert haben. Leider haben sich die Gegner von „Stuttgart 21“ zu spät für die Forderung nach einem Bürgerentscheid entschieden, so dass dies heute nach abgeschlossener gerichtlicher Prüfung für unzulässig erachtet worden ist. Dies bedauere ich sehr. Sorge bereitet mir schon der ständig zunehmende Protest gegen S 21. Ich erwarte deshalb jetzt auch eine klare Positionierung der Befürworter dieses Prestigeobjektes und die Freigabe von Geldern seitens des Bundesverkehrsministeriums für weitere wichtige Strecken, wie beispielsweise von Karlsruhe nach Basel bzw. von Frankfurt nach Mannheim. Der Ausbau dieser Schienenprojekte darf unter S 21 nicht leiden.

B.S.: Herzlichen Dank für die ausführlichen Auskünfte.

 

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